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Fataler IrrtumFataler Irrtum

„Urlaub?“
„Gott bewahre. Ich mache doch da keinen Urlaub. Ich erstelle seit einigen Jahren   Gutachten. Die Spinner aus dem Internet haben eine Methode ausgebrütet, verblödeten, aber reichen Leute das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und ich stehe dazwischen. Sehr lukrativ, aber oft denke ich, dass ich in Flugzeugen wohne.“
Jens räusperte sich. „Hört sich interessant an und du machst das als?“
„Als Gutachter eben. Meine Kunden bekommen Angebote, in gewisse Projekte zu investieren. Ich beurteile dann, ob an dem Schwachsinn was dran ist oder ob man sein Geld genauso gut als Grillanzünder verwenden kann.“ Er fuhr sich mit den Fingern durch seinen perfekten Haarschnitt und grinste.
„Bis jetzt hab ich noch jeden Schwindel aufgedeckt, ich bin der Horror der Beklopptenszene.“
Jens Interesse war geweckt.
„Was sind das für Bekloppte?“
„Na, diese Verschwörungsfritzen und selbst ernannten Entdecker. Die es schon immer gab. Durch das Internet haben die jetzt ganz andere Möglichkeiten, sich zusammen zu rotten und auszutauschen.“ Jens runzelte die Stirn.
„Du meinst, wer Kennedy ermordet hat, die Mondlandung und ...“ Olaf machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Quatsch. Wer sollte dafür einen Scheck ausschreiben? Wen juckt es? Nein, es geht um Sachen, mit denen man haufenweise Geld verdienen oder verlieren könnte.“ Er fügte hämisch hinzu, „wenn es den Schwachsinn geben würde. Letzten Monat wurde ich zu einem Jungbrunnen in Japan geholt, diese Woche zu einer angeblichen Zeitanomalie in Indien. Wahrscheinlich hab ich schon eine Mail, in der es um Teleportation in Absurdistan geht.“ Er streckte seine langen Beine aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
„Mir ist es recht, der Rubel rollt und ich komme von der trockenen Theorie an der Uni weg.“
„Die Leute springen auf sowas an?“, fragte Jens ungläubig.
„Was sollen sie machen? Eine Entdeckung, die die Welt verändern könnte, ihren Konkurrenten überlassen? Meine Kunden sind gezwungen, sich den Blödsinn anzusehen. Wenn sie nicht aufpassen, tut es ein anderer. Der hat dann vielleicht das Glück und findet den Goldklumpen in dem ganzen Dreck. Es ist eine Art Wettrennen, bei dem jeder gezwungen ist mitzumachen.“


 

Unter einem fremden HimmelUnter einem fremden Himmel


 

Zitternd presste er sich auf den Waldboden und lauschte. Die Stimmen kamen näher, dann entfernten sie sich wieder. Olaf saugte an seinem schmutzigen Daumen. Ein Rascheln seitlich von ihm ließ ihn zusammen zucken. Ein kleiner Fuchs strich durch das Unterholz und sah ihn mit großen Augen an. Olaf streckte langsam die Hand aus. Zu gerne hätte er etwas Lebendiges angefasst, doch das Tier zog sich sofort zurück.

Es wurde dunkel, die Stimmen waren verschwunden und er rollte sich, eng an den Baum geschmiegt, zusammen. An Schlaf war nicht zu denken. Zu groß war die Angst, dass diese Stimmen ihn aufspüren könnten. Er fühlte sich einsam, hätte gerne mit jemand Vertrautem gesprochen, doch er gestand sich ein, dass das ein Traum war, den er nicht realisieren konnte. Seine Familie würde er nie wiedersehen.

Nach Günnis Theorie war er in der Urzeit. Er sah an den Bäumen empor. Komisch. In der wissenschaftlichen Vorstellung seiner Zeit müssten sie mächtiger sein. So hatte er sie sich auf jeden Fall immer vorgestellt. Dabei sahen sie normal groß aus. Nur der Sternenhimmel blieb fremd.

Als dieser verblasste und die Sonne aufging, kroch Olaf aus seinem Schlupfloch. Er würde sowieso sterben. Es war unlogisch, sich aus Angst, um sein Leben zu verstecken.

Trotzdem lauschte er vor jedem Schritt, setzte seine Füße vorsichtig, um kein Geräusch auszulösen. Das leise Plätschern des Baches hörte er zunächst nicht, zu konzentriert horcht er nach Stimmen. Das Flüsschen war schmal, vielleicht zwei Hände breit. Es lag in einem Steinbett, das Wasser war klar. Olaf traute seinen Augen nicht. Zu unscheinbar, zu gewöhnlich war dieses Rinnsal.

Er sah sich um, er war alleine. Außer dem Wasser bewegte sich hier nichts.

Zögernd hockte er sich hin und steckte einen Finger in das kostbare Nass. Es war kälter, als er erwartet hatte. Er leckte an seinem Finger und es schmeckte verdorben.


 

Der aus dem Feuer kamDer aus dem Feuer kam


Sie stand in ihrer Schicksalsnische. In dieser Ausbuchtung würde mal die aktuelle Herrscherfamilie liegen. Sie schritt die Entfernung ab. Da, auf der linken Seite Lorenz, dessen blanken Schädel man ansehen würde, warum sein jetziger Anblick die Menschen erschreckte. Direkt hinter ihm, Ilona vermied es, die Stelle zu betreten, die beiden ältesten Kinder. Wobei diese Körper in kleinen Kisten Platz fanden, so jung, wie sie gestorben waren. Ilona erinnerte sich an den Vergleich, der ihr damals in den Sinn kam. Sie hatte ihre Winterstiefel in größeren Kartons aufbewahrt.

Hinter den Kindersärgen würde Agnes, ihre Mutter, liegen. Ilona hatte ihr Skelett nie gesehen, es hatte sie nicht interessiert.

Sie richtete die Kerze auf die die rechte Ecke, da wo relativ abgeschieden der eigentliche Grund dafür liegen würde, dass sie momentan auf Pizza, Jeans und Duschen verzichten musste. Dort würde die Frau in dem roten Kleid bestattet sein. Die Inschrift auf ihrem Sarg durch eine zufällig zusammengefallene Wand zerstört, ohne sonstige Aufzeichnungen, wer sie war.

Das war der Ort, der sie angezogen hatte. Hier hatte sie dem Skelett unerlaubt einen Backenzahn entnommen, ohne an eine Vergleichsprobe mit dem Rest der Familie zu denken. Und als sie sich heimlich mit ihrem Arbeitskollegen Jens in die Burg geschlichen hatte, um diesen Fehler zu korrigieren, waren sie durch ein Zeitloch gelangt, das sie im August 1625 ausspuckte.

Noch immer was es ihr peinlich, wie zwei Historiker die Realität anfangs verleugnet hatten.

Ihr Blick glitt über das Mauerwerk. Am einfachsten wäre es, in roter Farbe die Worte: Ilona, lauf weg, komme nie wieder an die Wand zu pinseln. Hätte sie darauf reagiert? Sie war sich sicher. Würde die Botschaft vierhundert Jahre überdauern? Nein. Sie hatte schon festgestellt, dass die Gänge im Laufe der Zeit neu gekalkt worden waren. Sie tippte sich mit dem Finger gegen ihre Nasenspitze. Wer würde etwas Wichtiges übermalen? Eine eindeutig formulierte Botschaft?


(K)ein Weg zurück(K)ein Weg zurück „Das war unwürdig.“ Olaf setzte den Becher an und leerte ihn. „Wir hätten erstmal die Kiste runterwuchten sollen, dann erst die Leiche. Wer von euch kam auf die Idee, sie aufrecht sitzend an die Wand zu lehnen?“ Er wandte sich an Markus. „Und wenn du das nächste Mal einen Sarg besorgst, mess lieber vorher die Kellertreppe aus. Oder besorge dir was zum zusammen bauen.“
Jens setzte sich an den Küchentisch. „Es ist auf jeden Fall erledigt. Luise staubt gerade alles ein, damit es so aussieht, als wenn seit Monaten keiner mehr da unten gewesen wäre.“ Er sah kritisch in die Runde. „Es wäre hilfreich, wenn jemand die Statur des Alten hätte. Er könnte hin und wieder in seiner Kleidung über die Felder spazieren. Für die Leute im Dorf ein gewohnter Anblick, der ihnen das Vergessen erleichtern würde.“
„Die Nachbarn der umliegenden Lehen wissen Bescheid. Luitgard sagt, dass sie erleichtert waren, dass der alte Burgherr doch nicht tot ist.“ Lena setzte sich neben Markus. „Aber sie befürchten, dass sie sowieso bald kommen müssen. Wegen Agnes“, fügte sie zögernd hinzu. „Was sagen wir, wenn sie den alten Herrn dann sehen wollen?“
Jens klatschte mit den Händen auf die Tischplatte und stand auf. „Nehmen wir ihnen den Anlass weg, unter dem sie hier rumschnüffeln können. Agnes muss sofort abreisen. Egal, wie dreckig es ihr geht. Das beugt Spekulationen vor. Wir müssen aus den Köpfen der Leute verschwinden.“ Er wandte sich zu Olaf. „Pack deine Sachen. Ich gehe hoch und sage es Konstanze. Luise soll im Dorf Bescheid sagen, dass wir so schnell wie möglich eine Kutsche brauchen.“


 


Die mit dem roten KleidDie mit dem roten Kleid

„Wir hatten keinen Streit, ich habe keine Ahnung, wo er ist, vielleicht ist er auch schon tot. Meine letzte Hoffnung war, dass er zurück nach Landen gekommen ist“, setzte sie leiser hinzu.

Olaf steckte die Hände in die Hosentaschen und wippte auf den Füßen. „Hier ist er nicht. Dabei bräuchten wir ihn dringend, wir stecken in einem Schlamassel.“

Sie sah ihn unsicher an. „Wieso? Was ist denn?“

Er deutete mit dem Kinn zu dem Dorf. „Pleite sind wir, ruiniert bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Der Steuereintreiber war da und hat uns die Forderungen des Kaisers überbracht. Der Mistkerl nimmt uns aus, wie eine Weihnachtsgans. Und nicht nur uns. Alle. Also werden auch alle übereinander herfallen, wenn es nichts mehr zu beißen gibt. Als Lehensherr muss er Flagge zeigen. “

Ilona nickte nachdenklich. „Es fängt also an. Jetzt sollte seine Stunde schlagen, in der er anfängt, das Lehen sicher durch diese Zeit zu bringen, doch er ist weg.“ Sie suchte seinen Blick. „Was ist mit deiner Geschäftsidee? Würde sie noch funktionieren? Was war es überhaupt?“Er zuckte mit den Schultern. „Hat sich erledigt. Sie war auf Handel ausgerichtet, auf Geldeinnahmen. Ferdinand wird uns alles nehmen, nichts braucht er so dringend wie Gulden, um seine Soldaten zu bezahlen.“

„Soldaten“, flüsterte Ilona. „Von Jens hast du nichts gehört, oder? Wir sind zusammen losgegangen und haben uns dann getrennt. Irgendeine Nachricht, dass er heil im Regiment angekommen ist?“

Sie sah auf Olafs Adamsapfel, der auf und ab hüpfte.

„Was ist? Hat er sich gemeldet? Nun sag doch schon …“

Er wandte sich ab und ihre Hand zitterte, als sie ihn wieder zu sich drehte.

„Sag schon. Er ist tot. Er ist gefallen. Wie habt ihr davon erfahren, wo ist er begraben?“


 

 

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